Agiles Management hat die Büros und Konferenzräume der Unternehmen in Deutschland erreicht und dort bereits für viel Umdenken und Diskussionen gesorgt. Zusammen mit einigen Experten auf dem Gebiet, beschäftigen wir uns mit Standing, Entwicklung, Umsetzung und Favoriten der Methodik.
In diesem Beitrag beschäftigen sie sich mit der Methodik und Umsetzung des Agilen Managements.
Wie bereit sind unsere Führungskräfte in Sachen Transparenz und Verantwortungsübertragung und besteht hierbei die Gefahr der Überforderung bei den Mitarbeitern?
Wolfram Müller
„Es geht bei agilem Management kaum um Verantwortungsübertragung - es ist mehr, dass das Top Management zuerst einmal Verantwortung übernehmen muss und zwar in viel größerem Umfang als im klassischen Management. Agiles Management heißt im ersten Schritt auch immer nur so viel Arbeit im Unternehmen zulassen, dass jeder Mitarbeiter Freiräume hat um tatsächlich sehr gute kreative Arbeit zu leisten. In einem guten Agilen Management steht der Mensch im Vordergrund - eine Überforderung kann in einem Agilen Management per Definition nicht auftreten!“
Judith Andresen
„Ich versuche, die Fragen ohne das „unsere“ und mit dem Bild zu beantworten, dass ich davon ausgehe, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erwachsene Menschen sind, die für sich selbst sorgen können. Für einige Führungskräfte ist es schwer, für Transparenz und Verantwortungsübertragung zu sorgen, für andere nicht. Wer zu einer kooperativen Führungskraft ausgebildet wurde und diese Haltung lebt, wird einen leichten Übergang in die agile Welt haben. Die Auftrennung von fachlicher, disziplinarischer und prozessuraler Führung wird von Vielen als echte Bereicherung empfunden. Diese Manager und Managerinnen können dann durch die Aufteilung ihre Haltung und ihre Kernkompetenz richtig ausspielen - perfekt. Wer aber persönlich seinen Status aus „Command and Control“ bezieht, wer seine Unsicherheiten über Micromanagement beruhigt oder so seine fachliche Stärke ausspielt, wer Informationen als Währung im Unternehmen versteht, dem wird eine Umstellung ins agile Management sehr schwer fallen. Denjenigen Personen würde aber schon der Anspruch einer kooperativen Führung schwergefallen sein. Ob das „bei uns“ besonders ausgeprägt ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Dazu kommt dann „on top", auf lieb gewordene Planungsrituale zu verzichten und Lernen nicht nur zuzulassen, sondern aktiv zu fördern.
In unserem Coachingalltag haben wir es nur mit Klienten und Klientinnen zu tun, die sich in ihrer Haltung neu positionieren und dafür neue Führungsrituale in ihren Unternehmen etablieren. Dazu gehört auch der Anspruch, dass Entscheidungen möglichst von denen getroffen werden, die konkret an einem Problem arbeiten. Dort wandert Verantwortung aus der klassischen Hierarchie stärker in die Teams. Das kann nur funktionieren, wenn sich das Management in einer dienenden Haltung neu sortiert. Denn: dort gibt es Wissen, dass verloren gehen würde, wenn die Verantwortung "einfach" abgegeben würde. Es ist in einem komplexen Umfeld sinnvoll, kleine Entscheidungen direkt vor Ort zu treffen und die Auswirkungen sofort zu überprüfen. „PDCA“ heißt das Schlüsselwort dazu. „Plan Do Check Act“ -- die Erfahrung zeigt, dass viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht mit der Verantwortung hadern, die sie durch diese kleinen Experimente an der Basis übernehmen. Sie hadern mit den kleinen Experimenten. „Das reicht nicht“, „Damit können wir nicht zum Kunden“, „unsere Kunden erwarten etwas Anderes", „das passt nicht in unsere CI“ sind typische Verteidigungen für einen großen Plan.
Die eigentliche Hürde ist nicht die Verantwortungsübernahme. Menschen übernehmen gerne Verantwortung, weil sie so ihre Wirksamkeit spüren. Die viel größere Hürde -- sowohl für das Management als auch für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen -- liegt im Systemwechsel vom Plan zum Experiment. Wer gute Pläne machen kann, ist in der komplizierten Welt ein sehr guter Manager oder eine sehr gute Managerin. In der komplexen Welt ist der- oder diejenige erfolgreich, der oder die die besten Experimente erkennt und sich diese traut. Die digitale Transformation verändert unsere Umgebung radikal. Geschäftsmodelle ändern sich vollständig. Wir wissen heute nicht, was morgen kommt. Es ist alles möglich: wir müssen ausprobieren und lernen, um zu wissen, was geht.“
Welche Methoden sprechen Sie besonders an?
Svenja Hofert
„Agile Gedanken entwickelten sich aus der Systemtheorie, der Kybernetik und ganz konkret aus agilen Projektmanagementmethoden. Das Viable System Model nach Stafford Beer ist ein Framework fürs Management, Methoden wie Scrum und Kanban sind Frameworks fürs Projektmanagement. Gerade aus letzterem können auch Führungskräfte Ideen ziehen, die in ihrem kleinen Bereich anfangen wollen, Selbstorganisation zu fördern. Selbstorganisation hat sehr viel mit Kommunikation zu tun. Bevor man damit beginnt, sollte man also Kommunikationshemmnisse beseitigen – Dysfunktionalitäten. Dazu haben wir bei Teamworks GTQ GmbH einen Dysfunktionen-Test entwickelt, der HIER abzurufen ist. Darauf aufbauend lassen sich dann Maßnahmen konzipieren. Später kann man über Themen wie Teamentscheidung oder auch Visualisierung von Workflows in Kombination mit Standup-Meetings nachdenken. Diese Methoden lassen sich recht leicht einführen und fast überall.“
Wolfram Müller
„Es entsteht aktuell eine Bewegung innerhalb der Agilen Community, die sich ganz zaghaft mit den Konzepten der Theory of Constraints von E. Goldratt befasst. Konzepte wie Critical Chain und Drum-Buffer-Rope finden jetzt Einzug - diese ganzheitlichen Ansätze versprechen noch wesentlich nachhaltigere Erfolge (s. Skype, Wire Swiss oder Haufe Lexware u.a.)“
Marion Eickmann
„Es gibt viele Methoden oder Frameworks wie Scrum, Kanban, Less oder DAD, die aber all nicht als Vorlage dienen sollten. Wenn man versucht ein Framework 1zu1 zu übernehmen wird man zwangsläufig scheitern. Warum? Ganz einfach. Agile ist keine Methode. Es geht bei Agile um Prinzipien. Was man ohne Kulturänderung erreicht ist lediglich das Erlernen von Praktiken nicht aber das Verstehen der dahinterliegenden Prinzipien.“
Antoinette Beckert
„Ich erkenne in vielen momentan diskutieren Methoden die Grundgedanken des systemisch konstruktivistischen Ansatz wieder, der auch eine sehr wertvolle Basis meiner Arbeit ist. Ansonsten halte ich es eher locker und greife mir aus jedem Methodenkoffer das heraus, was ich für passend halte. Dabei sind mir besonders die Gedanken aus dem Effectuation-Ansatz, Holocracy, Aspekte von SCRUM sowie Design Thinking in der Beratungs- und Coachingarbeit hilfreich.“
Judith Andresen
„Ehrlich gesagt: ich habe für Unternehmen keine „Best Practices“ im komplexen Umfeld anzubieten. Best Practices gibt es systemtheoretisch nur in einem offensichtlichen Umfeld. Die Methoden in einem komplexen Umfeld funktionieren immer nach „Probe - Sense - Respond“. Gerade auf Methodenebene gilt die Forderung „Inspect and adapt“. Und selbst das reicht häufig nicht. Wessen Branche so von der digitalen Transformation geschüttelt ist, dass das Geschäftsmodell vollständig brachliegt, kommt selbst damit nicht weiter. Im chaotischen Umfeld ist „Act Sense Respond“ angesagt. „Einfach mal machen" und lernen.“
Zu Wort kamen:
Svenja Hofert
(Karrierecoach mit Schwerpunkt Karriereplanung sowie Persönlichkeits- und Stärkenentwicklung vor dem Hintergrund einer sich ändernden Arbeitswelt.)
Judith Andresen
(Inhaberin der Beratung Judith Andresen, Agiler Coach und Ogranisationsentwicklerin, unterstützt Unternehmen beider Einführung agilen Arbeitens, agilen Denkens und Führens.)
Marion Eickmann
(Gründerin der agile42 GmbH, hat sich auf Agile Coaching und Lean Management spezialisiert.)
Antoinette Beckert
(Coach, Change-Managerin und Ingenieurin mit den Fachbereichen Leadership-Coaching, Teamcoaching und Change-Management.)
Wolfram Müller
(Geschäftsführer der Speed4Projects, langjähriger Experte in Critical Chain und erfahrener Trainer.)