Michael Scharsig

Anonymisierte Bewerbungen - Die einzig faire Alternative?

Michael Scharsig
Michael Scharsig
veröffentlicht am 14.7.2016

Das Bewerbungsverfahren in Deutschland ist eine Wissenschaft für sich. Kaum hat man den ersehnten Studienabschluss hinter sich gebracht, geht auch schon das Rennen um den ersten Job los. Und manch einer kommt sich dabei vor, als hätte er bislang nicht einmal das Abitur geschafft, so aufwendig und anstrengend ist das ganze Verfahren. Und auch mit den Jahren wird es nicht wirklich besser. Probleme haben dabei aber vorallem Menschen mit Migrationshintergrund, Mütter oder ältere Bewerber. Genau dieser Problematik will die anonymisierte Bewerbung entgegenwirken und die Chancen für alle Bewerber so fair wie möglich machen. Doch wie soll das Ganze funktionieren?

Wieso ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren?

Die Diskussion zum Thema anonymisierte Bewerbung wird schon seit längerem geführt und hat wohl auf beiden Seiten genug Vertreter. Bei einer anonymisierten Bewerbung werden im Gegensatz zu der in Deutschland klassischen Bewerbung der Name, Angaben zum Geschlecht, Geburtsort- und jahr, der Familienstand sowie ein Foto weggelassen. All diese Angaben nämlich führen in Sekundenbruchteilen dazu, dass man sich ein bestimmtes Bild über den Bewerber bildet und Vorurteile aufbaut. Seit der Einführung des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) im Jahr 2006 ist die Diskriminierung von Bewerbern aufgrund der oben genannten Punkte in Deutschland ohnehin verboten. Trotzdem gibt es auf Seiten der Unternehmen hier oftmals Fehlverhalten und nicht selten werden diese von Bewerbern aufgrund diskriminierenden Verhaltens verklagt. So ist zum Beispiel bereits bei der Stellenanzeige Fingerspitzengefühl gefragt, denn ein Inserat mit der Überschrift "Assistentin gesucht" verstößt gegen das AGG. Männliche Bewerber werden ausgeschlossen. Auch die Suche nach einem "erfahrenen Mitarbeiter (m/w)" ist ein Verstoß, da junge Bewerber damit ausgeschlossen werden.

Für die anonymisierte Bewerbung spricht also in erster Linie das Argument der Objektivität und Fairness, denn auch kein Personaler dieser Welt kann ausschließlich objektiv über einen Bewerber urteilen, sobald er in dessen Bewerbung sein Foto sieht, seinen Namen/Geburtsort/Familienstand liest oder die Hochschule, an der dieser seine Kenntnisse erlangt hat. Und das gilt natürlich nicht nur für frische Jobeinsteiger, auch solche, die den Job wechseln wollen oder zum Beispiel als Mutter den Wiedereinstieg in den Job suchen, müssen mit vielen Vorurteilen rechnen. 

Benachteiligt werden bei der Jobsuche vor allem folgende Gruppen:

  • Es ist kein Geheimnis, dass Menschen mit Migrationshintergrund bei der Bewerbung benachteiligt werden, auch wenn sie hochqualifiziert sind. Schon allein ein schwer auszusprechender, womöglich afrikanisch oder arabisch anmutender Name, führt dazu, dass dieser Bewerber schneller auf dem Absage-Stapel landet als sein Mitbewerber mit deutschem Namen und ähnlichem Lebenslauf. Doch als Migrant kann man seinen Namen schlecht fälschen. Die Folge: längere Arbeitslosigkeit und steigende Frustration. In diesem Fall hilft dann nur die Komplett-Lösung: Kein Name, kein Geburtsdatum, kein Geschlecht, kein Familienstand und kein Foto.

  • Es ist ebenfalls kein Geheimnis, dass Frauen und zwar vorallem die mit Kindern oder potenziell “Kinder-Gefährdete”, also um die Mitte 20 bis Mitte 30jährigen, seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden als ihre männlichen, oftmals viel weniger qualifizierten, Kollegen. Manche Unternehmen werden das vielleicht negieren, doch es ist auch kein Geheimnis, dass Frauen viel seltener in Führungspositionen besetzt werden. Also gilt hier: Familienstand in der Bewerbung weglassen.

  • Auch ältere Menschen haben es bei der Jobsuche schwerer. Viele Stellen sind heutzutage auf ein bis zwei Jahre befristet. Perfekt also für junge Jobeinsteiger, die sich erstmal im Job ausprobieren wollen und die sich oftmals mehr reinhängen als gesund ist. Genau das kommt vielen Unternehmen zu gute, gelten solche Mitarbeiter als pflegeleicht und schnell zu ersetzen. Bewirbt sich also eine erfahrene 50jährige für eine Stelle, so wird sie meistens abgelehnt, da sie a) mehr (oder um es genauer zu sagen, ein angemessenes) Gehalt fordert und b) aufgrund ihrer Erfahrung nicht so leicht beeinflussbar, ergo auch nicht so pflegeleicht sein wird. Natürlich lässt sich in der Regel anhand des Lebenslaufs schnell ablesen wie viel Erfahrung ein Bewerber besitzt und dass diese nicht innerhalb weniger Jahre gesammelt wurde, dennoch sollte es nicht darauf ankommen nennen zu müssen, ob man nun 42 oder 52 ist. Und das geht, indem man einfach das Geburtsdatum weglässt.

  • Wer die Möglichkeiten hat - und damit ist das finanzielle Polster der Eltern gemeint - der geht auf eine Prestigeuniversität oder eine Privatuni. Die Namen dieser Unis lesen sich gerade in Bewerbungen besonders schön, müssen aber nicht zwangsläufig den besten Bewerber liefern. Wer an einer normalen Uni studiert hat, kann ebenfalls dank praktischer Erfahrungen und Engagement der bessere Bewerber sein. Wer hier als Unternehmen allen die selben Chancen einräumen will, der wird die Angaben zur Hochschule in einer Bewerbung nicht erwarten und im Vorfeld darauf hinweisen. Hierzulande dürfte das eher noch ungewöhnlich sein, in den USA hingegen macht dieses Vorgehen aktuell Schule.

Anonyme Bewerbung – der ausschlaggebende Schritt zur Antidiskriminierung?

Ökonomen weisen immer wieder darauf hin, dass gerade Unternehmen in denen die Mitarbeiter von Alter, Herkunft und Geschlecht gut durchmischt sind, besonders erfolgreich sind. Verschiedene Talente, Erfahrungswerte und Kompetenzen kommen dann nämlich zusammen. Sortiert man aber anhand von Bewerbungen stets den gleichen Typ Kandidat heraus, so kommt es leider nicht mehr zu dieser interessanten Vielfalt. Eine anonymisierte Bewerbung könnte also Chancenungleichheiten aufgrund der oben genannten Kriterien wie Herkunft, Alter und Familienstand aufheben und so für mehr Fairness und Antidiskriminierung sorgen.

Die Vorteile bei einem anonymisierten Bewerbungsverfahren liegen klar auf der Hand: Kandidaten werden wirklich nur anhand ihrer Qualifikationen und berufsrelevanter Praxiserfahrungen beurteilt und nicht daran, wie hübsch sie sind, welche Nationalität sie besitzen, ob sie 22 oder 42 sind oder Kinder haben. Der künftige Arbeitgeber wird also von den persönlichen Angaben nicht beeinflusst, wodurch auch andere Bewerbergruppen die Chance auf ein Vorstellungsgespräch bekommen.

Allerdings gibt es bei vereinheitlichten Bewerbungsunterlagen auch Nachteile. Vorallem Berufsanfänger können nicht mehr auf ihre persönlichen Stärken und ihr Individuum setzen und fallen meist aufgrund fehlender Erfahrung im Job durchs Raster. Gegner des anonymen Verfahrens führen ins Feld, dass ein Unternehmen das Recht haben muss, sich ein vollständiges Bild vom Bewerber machen zu können und die fehlenden Informationen eine unnötige, künstliche Situation schaffen. Was, wenn ein Unternehmen im Sinne der Gleichstellung gerade Frauen einstellen oder jungen Bewerbern mit Migrationshintergrund eine Chance geben will? Im anonymen Bewerbungsverfahren ist eine gezielte Suche daher nicht möglich und mit noch mehr Zeitaufwand und Kosten verbunden.

Studitemps Fazit: Die anonymisierte Bewerbung bietet viele Vorteile. In den USA und Kanada ist dieses Verfahren schon seit Jahrzehnten Praxis. Hier sind Bewerbungen mit Lichtbild im Sinne der Chancengleichheit prinzipiell unerwünscht. In Deutschland ist es jedem Unternehmen freigestellt, sich für die anonyme Bewerbung zu entscheiden oder im Vorfeld zu signalisieren, welche Angaben bei der Bewerbung nicht benötigt werden. Trotzdem: Auch ein anonymes Bewerbungsverfahren schützt nicht vor Diskriminierung im Vorstellungsgespräch oder am Arbeitsplatz. Und der wichtigste Schritt – bevor die Diskriminierung aus dem Bewerbungsverfahren verschwindet – ist, sie aus den Köpfen zu entfernen.

 

Michael Scharsig
Über den/die Autor*in

Michael Scharsig

Mein Name ist Michael, ich habe früher für jobvalley gearbeitet und Artikel für das Jobmensa Magazin verfasst. 2013 habe ich mein JPR-Studium (Journalismus/Public Relations) abgeschlossen. Parallel dazu war ich rund zwei Jahre als Online-Fußballredakteur in NRW unterwegs und bin anschließend für drei Monate nach London gegangen. Dort lernte ich dann Marketing und Instagram näher kennen. In meiner letzten Station hatte ich als PR-Volontär mit Social Media und Blogger Relations zu tun. Privat bin ich außerdem Filmblogger und habe 2014 eine Rock-am-Ring-Facebook-Seite betreut, die sich dafür einsetzte, dass Festival in meine Heimat zu holen. Hat nicht geklappt, aber Spaß hat's gemacht.

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