Prof. Dr. Eva Asselmann ist Professorin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der HMU Health and Medical University in Potsdam.
Wie misst man eigentlich Persönlichkeit? Und was sagt sie aus – über Studium und Beruf?
Interview mit Prof. Dr. Eva Asselmann
Als Wissenschaftlerin forscht Prof. Dr. Asselmann zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Gesundheitsförderung und Prävention. Dabei beschäftigt sie sich insbesondere damit, wie sich unsere Persönlichkeit im Laufe des Lebens verändert und wie sich einschneidende Ereignisse auf unsere Persönlichkeit, unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit auswirken.
Frau Asselmann, im Wort „Persönlichkeit“ steckt ja bereits, dass es hier um etwas sehr Individuelles geht – um die Person als solche. Wie aussagekräftig kann also das Messen von Persönlichkeit sein?
Aus wissenschaftlicher Perspektive meint „Persönlichkeit“ Merkmale im Denken, Fühlen und Verhalten, in denen wir Menschen uns voneinander unterscheiden. Ein großer Teil dieser individuellen Unterschiede lässt sich durch die „Big Five“ beschreiben – das sind fünf grundlegende Persönlichkeitsmerkmale: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und emotionale Stabilität.
Zu welchen Unterschieden führen diese Merkmale im Handeln? Lässt sich das anschaulich einordnen?
Ja, das geht sogar recht gut: Offene Personen sind tendenziell neugierig, kreativ und aufgeschlossen gegenüber Neuem. Gewissenhafte Menschen sind gut organisiert, ordentlich, sauber, pünktlich, verlässlich und fleißig. Extrovertierte Personen gehen gern unter Leute, sind gesellig und lieben es zu reden und im Mittelpunkt zu stehen. Verträglichen Personen ist es wichtig, mit anderen gut auszukommen. Sie sind rücksichtsvoll, freundlich und auf Harmonie bedacht. Und emotional stabile Menschen behalten auch in stressigen Zeiten einen kühlen Kopf. Sie sind weniger anfällig für negative Gefühle wie Angst und Traurigkeit.
Wie misst man denn Persönlichkeit? Und würden Sie sagen, dass uns hier in einigen Jahren weitere, neue Ansätze begegnen werden?
Überwiegend, indem wir Menschen zu ihrer eigenen Persönlichkeit oder der von nahestehenden Personen – Familie oder Freundeskreis – befragen. Einige dieser Verfahren sind sehr ausführlich und erlauben es, zwischen verschiedenen Facetten von einzelnen Persönlichkeitsmerkmalen zu differenzieren. Andere Fragebögen sind kürzer und hilfreich, wenn die Persönlichkeit schnell und zeitsparend erfasst werden soll.
Gibt es weitere Ansätze abseits der direkten Befragung?
Das wäre dann die Beobachtung. Der Zustand einer Wohnung zum Beispiel verrät, wie ordentlich und sauber jemand ist. Stichwort Gewissenhaftigkeit. Fliegen Gegenstände herum? Stapelt sich der Abwasch in der Küche? Wurde Kleidung sorgfältig gefaltet in den Schrank gelegt, oder türmt sich alles auf dem Boden?
Und was sagen beispielsweise soziale Aktivitäten aus?
Soziale Aktivitäten liefern Informationen zur Extraversion: Hält sich Person XY vorwiegend allein zuhause auf, oder zieht sie nonstop mit anderen um die Häuser? Bei der Verhaltensbeobachtung sind technische Geräte eine große Hilfe. Über das Smartphone können zum Beispiel Verhaltensspuren im Alltag aufgezeichnet werden. Darauf setzt die Wissenschaft der Zukunft. Die besten Informationen zur Persönlichkeit erhalten wir, wenn wir verschiedene Informationsquellen kombinieren, zum Beispiel Selbst- und Fremdurteile sowie Verhaltensbeobachtungen.
Persönlichkeitsmerkmale fließen im Recruiting-Prozess von Unternehmen immer stärker in die Bewertung von Bewerbenden ein. Gehen wir aber zunächst einen Schritt zurück: Welche Persönlichkeitseigenschaften helfen allgemein im Studium?
Vor allem Gewissenhaftigkeit. Wer seine To-dos im Blick hat, Lehrveranstaltungen vor- und nachbereitet sowie rechtzeitig damit anfängt, sich auf Prüfungen vorzubereiten, hat es im Studium tendenziell leichter. Ein hohes Maß an emotionaler Stabilität hilft dabei, mit stressigen Phasen umzugehen und während der Prüfung einen kühlen Kopf zu behalten.
Mal angenommen, wir vergleichen diesbezüglich ein BWL-Studium mit einem, sagen wir, Psychologiestudium: Gibt es hier Unterschiede in der Persönlichkeit der Studierenden?
Diese Unterschiede zeigen sich vor allem in den Interessen, Werten und Einstellungen. Psychologiestudierende interessieren sich tendenziell sehr für Menschen, BWL-Studierende für ökonomische Zusammenhänge. Das sind aber natürlich nur durchschnittliche Unterschiede. Im Einzelfall kann es sein, dass eine Person, die BWL studiert, Psychologie-Studierenden ähnlicher ist als anderen BWL-Studierenden.
Oft heißt es, der Berufseinstieg lässt junge Menschen „irgendwie erwachsen“ werden. Stimmt die Wahrnehmung? Oder ist es einfach nur die Zeit, die uns erwachsen macht?
Aus vielen wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass junge Erwachsene in ihrer Persönlichkeit „reifen“, also gewissenhafter, verträglicher und emotional stabiler werden. Gerade das junge Erwachsenenalter ist durch außerordentlich viele Umbrüche und einschneidende Ereignisse geprägt: Wir beenden die Schule, ziehen von zu Hause aus, starten mit dem Studium und steigen später ins Berufsleben ein. Durch diese Übergänge nehmen wir neue soziale Rollen ein, die uns wiederum vor neue Herausforderungen stellen. In der Regel versuchen wir, diesen gerecht zu werden, und passen unser Verhalten an.
Und langfristig?
Langfristig manifestiert sich das dann auch in unserer Persönlichkeit. So zumindest die Annahme. Als Berufsanfänger*in wird von uns zum Beispiel erwartet, dass wir pünktlich bei der Arbeit erscheinen, unseren Job gut machen und uns gegenüber Kolleg:innen und Kund*innen professionell sowie freundlich verhalten. Indem wir versuchen, diesen Erwartungen zu entsprechen, sollten wir also gewissenhafter werden. In meiner Forschung konnte ich zeigen, dass dem tatsächlich so ist: Junge Erwachsene waren in den Jahren nach dem Berufseinstieg deutlich gewissenhafter und extrovertierter als davor. Und auch die Verträglichkeit stieg sukzessive an.
Dann der Blick auf den Berufseinstieg: In welchem Maß hängt es von meiner Persönlichkeit ab, wie erfolgreich ich am Arbeitsplatz sein werde? Gibt es so etwas wie universelle Persönlichkeitsmerkmale, mit denen beruflich gesehen wenig bis nichts schief gehen kann?
Tendenziell sind Personen mit hohen Big Five-Werten erfolgreich. Aber: Gleichzeitig kommt es auch auf die Passung zwischen der eigenen Persönlichkeit und den Anforderungen im Job an. Je höher diese Passung ist, desto zufriedener und erfolgreicher sind wir. Das spiegelt sich sogar im Einkommen wider. Eine im Jahr 2018 veröffentlichte Studie konnte zeigen, dass Personen, deren Persönlichkeit gut zu ihrem Job passt, bis zu einem Monatseinkommen pro Jahr mehr verdienen.
Wie wichtig sind im Gegensatz dazu bestimmte Merkmale mit Blick auf ganz bestimmte Berufsrichtungen?
Bei Sänger*innen und Schauspieler*innen, die den ganzen Tag auf der Bühne im Rampenlicht stehen, ist ein besonders hohes Maß an Extraversion gefragt. Wissenschaftler*innen und Schriftsteller*innen verbringen hingegen viel Zeit mit sich allein im stillen Kämmerchen, um an wissenschaftlichen Fragestellungen und Texten herumzutüfteln. Wer introvertiert ist, kommt damit im Schnitt besser klar.
Wenn bestimmte Eigenschaften „erfolgreicher sind“, kann im beruflichen Kontext ein dauerhaftes „Vernebeln“ der eigenen Persönlichkeit ratsam sein? Oder macht das krank?
Wenn unser Job nicht gut zu unserer Persönlichkeit passt, kann das tatsächlich dazu führen, dass wir weniger erfolgreich sind und unser Wohlbefinden sinkt. Ergo: Augen auf bei der Berufswahl. Bevor wir uns für einen bestimmten Job entscheiden, sollten wir uns selbst reflektieren: Was macht mich aus? Welche Stärken und Schwächen habe ich? Was kann ich besonders gut? Wofür brenne ich? Mit welcher Art von Tätigkeiten kann ich mich lange und intensiv befassen? Wo will ich beruflich hin – und was ist mir im Leben wichtig?
Wie gezielt ließe sich denn im Erwachsenenalter Persönlichkeit verändern bzw. deren Entwicklung steuern? Hängt das – leicht augenzwinkernd – auch von der Persönlichkeit ab?
Neuere Studien weisen darauf hin, dass wir unsere Persönlichkeit tatsächlich gezielt verändern können. Zum Beispiel, indem wir uns konkrete Ziele setzen, inwiefern wir uns gewissenhafter oder extrovertierter verhalten wollen und unser Verhalten entsprechend anpassen. Ob das gelingt, hängt vor allem von unserer Veränderungsmotivation ab. Bevor wir jedoch auf Teufel komm raus an unserer Persönlichkeit herumdoktern, sollten wir uns zunächst die Frage stellen, warum wir das überhaupt wollen. Denn jede Persönlichkeitsausprägung bietet ihre Vor- und Nachteile. Personen, die wenig verträglich sind, geraten zum Beispiel öfter mit anderen aneinander, dafür können sie sich aber auch in Gehaltsverhandlungen besser durchsetzen.
Ist eigentlich zu befürchten, dass unser ungeliebtes Zeitphänomen Corona bei der Persönlichkeit zu gewissermaßen regressiven Langzeiteffekten führt? Und, welche Persönlichkeitsausprägungen helfen, mit dieser Situation besser umzugehen?
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass es Introvertierten besser gelang, mit den Kontaktbeschränkungen im Zuge der Pandemie umzugehen als Extrovertierten. Ihr Wohlbefinden war während der Lockdowns höher. Das ist besonders interessant, weil unter „normalen“ Umständen Extrovertierte ein höheres Wohlbefinden haben als Introvertierte. Sie empfinden im Alltag tendenziell mehr positive Gefühle wie Freude. Basierend auf den Fachkraft-Daten haben wir außerdem herausgefunden, dass sich Verträgliche eher an die Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie hielten und dass sich vor allem emotional Instabile Sorgen um ihre finanzielle Situation machten, sich unsicher fühlten und Dinge wie zum Beispiel Toilettenpapier horteten.
Und zum Abschluss: Persönlichkeit wird ja auch im Rahmen unserer Fachkraft-Erhebungen „abgefragt“. Hand aufs Herz, wie nah sind wir dran mit unserem Instrument?
Die Big Five werden hier mit Fragen aus dem International Personality Item Pool gemessen, die gut etabliert und wissenschaftlich anerkannt sind.
Dieses Interview erschien in unserer Fachkraft 2030 Jubiläumsausgabe.
Julia Menke
Meine Leidenschaft sind Bücher, deshalb studierte ich Literatur, Kultur und Medien mit dem Begleitfach Sprache und Kommunikation an der Uni Siegen. Nach meinem Volontariat im PR- und Marketingbereich und einigen Jahren in einer Agentur in Köln, bin ich ins Marketingteam zu jobvalley gekommen. Hier bin ich als Teamlead Content & PR tätig. Nebst dem Strategischen liebe ich es jedoch nach wie vor zu schreiben!
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