Welche Hochschulabsolventen werden dem Arbeitsmarkt in Deutschland in den nächsten Jahren wo und mit welcher Abschlussqualifikation zur Verfügung stehen? Dieser ökonomisch wegweisenden Fragestellung ist die Studienreihe „Fachkraft 2020“ einmal mehr nachgegangen. Das vorliegende Ergebnis hat dabei durchaus Alarm-Charakter: Denn 12 der 16 Bundesländern in Deutschland droht eine zum Teil massive Abwanderung von Absolventen. Wie das?
Nur vier Bundesländer können in den kommenden Jahren mit Zuwanderung von Hochschulabsolventen rechnen – namentlich Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und vor allem Hamburg. Dagegen hat sich die Mehrheit der Bundesländer auf einen teils herben Verlust an akademischem Nachwuchs einzustellen. „Spitzenreiter“ im Osten ist hier das Land Brandenburg, dem zwei Drittel seiner angehenden Absolventen beruflich den Rücken kehren wollen. Im Westen hat in dieser Frage Rheinland-Pfalz ähnlich hart zu kämpfen. Etlichen weiteren Bundesländern – Ost wie West – drohen Verluste im satten zweistelligen Bereich.
Die Ergebnisse entstammen der 3. Vollversion zur Studienreihe „Fachkraft 2020“, die im September 2015 veröffentlicht wurde. Zugleich handelt es sich bei diesem Artikel um den Auftakt einer Reihe, mit der in den kommenden Wochen – im Detail – die Wanderungstendenzen einzelner Bundesländer und Städte analysiert werden sollen: dann auf Basis vergleichender, nochmals aktualisierter Zahlen. Wie immer entstanden die maßgeblichen Erhebungen in wissenschaftlicher Kooperation mit der Maastricht University. An der jüngsten haben bundesweit 25.000 Studierende teilgenommen.
Beruflicher Abwanderungswille, soweit das Auge reicht
Laut Datenlage wird sich das Ausmaß der Absolventen-Abwanderung in den kommenden Jahren von fast 10 Prozent in NRW über gut 25 Prozent in Sachsen bis hin zu besagtem Maximum von 66 Prozent in Brandenburg erstrecken. Knapp dahinter folgt bereits Sachsen-Anhalt, wo per Saldo mit einem Verlust von 65 Prozent der beruflichen Einsteiger zu rechnen ist. Den schlechtesten Wert im Westen der Republik muss Rheinland-Pfalz für sich verbuchen, dem in der Absolventen-Frage ein Minus von 54 Prozent droht.
Prozentual hat Hamburg die bei weitem größte Sogwirkung
Der Zuzug der Absolventen verteilt sich auf lediglich vier Bundesländer, wobei sich das Ausmaß in der prozentualen Betrachtung auch hier deutlich unterscheidet. Da sind zunächst die beiden wirtschaftlich starken Flächenländer des Südens – Bayern und Baden-Württemberg – deren Zugewinne mit 23 Prozent respektive 20 Prozent in den kommenden Jahren sehr komfortabel ausfallen dürften. In Berlin steht ein sattes Plus von über 54 Prozent zu Buche. Prozentual eindeutig an der Spitze steht jedoch Hamburg, wo mit einem gewaltigem Zugewinn von 216 Prozent gerechnet werden kann. Zur Veranschaulichung: Der Hansestadt dürften damit perspektivisch neben 100 vor Ort ausgebildeten Akademikern fast 220 weitere aus anderen Hochschulstandorten zur Verfügung stehen. Glänzende Aussichten!
Geschlechtliche Unterschiede bei den Zielregionen
Interessanterweise zieht es Hochschülerinnen und Hochschüler nicht im gleichen Ausmaß in die vier Gewinnregionen. Denn: Bayern und Baden-Württemberg sind der Datenlage zufolge auf männlicher Seite deutlich beliebter (38 % bzw. 28 %), als es auf weiblicher der Fall ist (jeweils 14 %). Umgekehrt das Bild in Berlin, wo dem Plus von 47 Prozent im männlichen Bereich ein weibliches Plus von 62 Prozent gegenübersteht. Am größten fällt das Missverhältnis jedoch bei einem Absolventen abgebenden Bundesland aus: So wollen aus Bremen per Saldo 9 Prozent der weiblichen und 37 Prozent der männlichen Absolventen abwandern, um beruflich woanders Fuß zu fassen.
Zur Situation im MINT-Bereich
Die so genannten MINT-Fächer (1) Mathematik, (2), Informatik, (3) Naturwissenschaften und (4) Technik/Ingenieurwissenschaften werden in Deutschland ökonomisch als besonders wegweisend angesehen. Daher wurde die Migrations-Analyse der Studienreihe „Fachkraft 2020“ auf diesen Bereich ausgeweitet, wobei sich die Ergebnislage auch hier nicht wesentlich von den zuvor dargestellten Daten unterscheidet.
Fakt ist: Bayern und Baden-Württemberg können ihre ohnehin gute Ausgangslage in dieser Frage erwartungsgemäß nochmals ausbauen, wohingegen sich für Brandenburg nun sogar ein Minus von 71 Prozent andeutet. Eine Änderung in der Reihenfolge stellt für diesen Bereich jedoch Thüringen dar, dem 63 Prozent seiner MINT-Absolventen den Rücken kehren wollen. Sachsen-Anhalt (-57 %) und Rheinland-Pfalz (-51 %) folgen. Die Tabelle verdeutlicht die Situation auf Bundesebene.
Fazit von Studitemps:
Nein, es sieht nicht wirklich gut aus für die meisten Bundesländer. Das Bittere zunächst: Da werden Hochschülerinnen und Hochschüler vor Ort mit viel Energie und Aufwand fit für den Beruf gemacht (Abschluss), um dann einen Großteil des Fachkräfte-Potenzials an andere Regionen abtreten zu müssen.
Warum? Weil viele Absolventen den betreffenden Ländern offensichtlich nicht zutrauen, neben einer guten akademischen Heimat auch beruflich genau die richtige Wahl zu sein. Also weg von hier! Ist dieser Trend umkehrbar? Wohl nicht in Gänze – aber es gibt praktikable Stellschrauben. Eine davon ist zweifelsfrei der Nebenjob mit Fachbezug, der Studenten schon weit vor dem Abschluss fachlich zu binden vermag – an die Region, an die Unternehmen.
Doch auch hier gibt es ein Problem: Während sich fast 90 Prozent der Studenten in Deutschland (bedingt durch den mangelnden Praxisbezug des Studiums) einen Nebenjob mit Fachbezug wünschen, kommen in der Realität gerade einmal 29 Prozent der Jobber in den Genuss. Zu wenig! Die Zahlen dieses Artikels beweisen: In einigen Regionen wäre es dringend an der Zeit, hieran etwas zu ändern. Denn noch sind sie da, die Studenten, die nach dem Abschluss abwandern wollen.
Bis Januar 2016 werden in diesem Magazin zum Themenkomplex „Absolventen-Wanderung“ blockweise aktualisierte Zahlen veröffentlicht – unterteilt nach Bundesländern, Regionen und Städten.
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