Julia Menke

Die Digitalisierung: Was kommt da auf uns zu? Und woran hakt es bislang?

Julia Menke
Julia Menke
veröffentlicht am 31.3.2023

Die Digitalisierung, so ist zu hören und zu lesen, wird den Arbeitsmarkt der Zukunft ordentlich auf links drehen. Das kann Vorfreude wecken, aber auch zum Gegenteil führen  wie eigentlich immer, wenn sich Tiefgreifendes abzeichnet, je nach Sichtweise. Werden etwa Algorithmen und Programme schon in wenigen Jahren ganze Berufszweige ersetzen? Wie vereinbar ist eine digitalisierte Arbeitswelt mit unseren derzeitigen Work-Life-Modellen? Gleiches Geld für weniger Arbeit? Keine Arbeit und trotzdem Geld? Und auch das: Welche Chancen bietet die Digitalisierung eigentlich all jenen, die sich beruflich nicht im Geringsten für IT- und Computerkram interessieren? Pech gehabt?

Digitalisierung

Laut einer repräsentativen Befragung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gingen im Jahr 2017 rund 81 Prozent der Teilnehmenden davon aus, dass durch die digitale Entwicklung immer mehr Menschen beruflich abgehängt werden. Aber: Auf der anderen Seite sahen immerhin 52 Prozent die Chance, dass sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch digitale Effekte deutlich verbessern dürfte. So erwartbar solche Ergebnisse auch sein mögen: Vor allem deuten sie an, dass in einer der wichtigsten Fragen unserer Zeit alles andere als gesellschaftliche Einigkeit herrscht. Wie auch? Das Ding mit der Digitalisierung ist einfach zu groß und komplex. Wie eine gigantische Wette auf die Zukunft. Logischerweise haben wir uns das Thema auch im Rahmen einer Fachkraft-Befragung angeschaut. 2019 war das, also selbst nach digitalen Maßstäben noch keine Ewigkeit her. Geradezu ins Gesicht gesprungen ist uns bei der Analyse diese Zahl: Lediglich 45 Prozent der etwa 15.000 befragten Studierenden fühlten sich durch ihr Studium ausreichend gut auf die digitale Zukunft der Berufswelt vorbereitet. Nicht mal jede*r Zweite also.

Das Bildungssystem hat die Digitalisierung nicht „substanziell“ auf dem Schirm

Für Prof. Dr. Isabell M. Welpe, Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München und seit 2014 Wissenschaftliche Leiterin des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF), ist das Ergebnis nicht überraschend.

„Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass weder in der Schule noch in der berufsbezogenen Ausbildung oder an der Hochschule substanziell auf die Folgen der Digitalisierung eingegangen wird“, beschreibt sie. In der Folge liege es bis heute nahezu komplett an einem selbst, an privatem Lerninteresse und Engagement, ob und wie man sich im Dickicht der Digitalisierung zurechtfinde. „Für das Zukunftsmodell, das wir ‚Creater Economy‘ nennen, bilden wir in Deutschland einfach nicht aus“, stellt Welpe fest. Auf Unternehmensseite sieht das schon ganz anders aus. Hier hat sich in Sachen Digitalisierung längst was getan, und natürlich hat man hier die Erwartung, dass Absolvent*innen das Thema bei den Hörnern packen und sozusagen auf breiter Ebene vorantreiben. Wenn dann aber zum beruflichen Einstieg bei allem Fachwissen das digitale Mindset und Verständnis für Wettbewerb in der Informationsökonomie fehen, ist die Verunsicherung natürlich erstmal groß. „Unsere Bildungseinrichtungen müssten viel stärker darauf vorbereiten“, sagt Welpe, „andere Länder haben das längst verstanden und machen es vor.“

Doch warum ist das so? Wie kann es einem international führenden Technologiestandort wie Deutschland passieren, dass er seinen akademischen Nachwuchs nicht angemessen auf zentrale Marktanforderungen vorbereitet, die ja schon in der Gegenwart greifen? Als Antwort auf diese Frage verweist die Münchner Professorin auf ein bekanntes Zitat von Charlie Munger: „Show me the incentives and I show you the outcome“. Einfach übersetzt: Es fehlt derzeit schlichtweg der Anreiz, um das Thema konsequent voranzutreiben. Und selbst wenn, dann mangele es immer noch an ausreichend IT-Fachkräften, die für die notwendige Transformation als Lehrkräfte bereitstünden. Einerseits, weil es die allermeisten Absolvent*innen mit digitalem Know-how bekanntlich in die Wirtschaft zieht. Und andererseits, sagt Welpe, dürften staatliche Schulen Informatiker*innen ja gar nicht als Lehrkräfte einstellen, weil diesen wiederum das pädagogische Rüstzeug fehle. Man hat schließlich Informatik studiert – und nicht Lehramt.

Die digitalen Potenziale liegen brach – zum Schaden aller Beteiligten

Ärgerlich ist das vor allem deshalb, weil die Digitalisierung, sofern pädagogisch richtig eingebunden, eigentlich alles mitbringt, um Jahrzehnte alte Herausforderungen im deutschen Bildungswesen anzugehen. Beispielsweise ließe sich das Lernen, ganz gleich ob in Schule oder Uni, viel leichter personalisieren. Zu große Klassen und Kurse müssten nicht mehr sein, Lernende mit unterschiedlichen Wissensständen könnten digital deutlich besser abgeholt und auf ein höheres Niveau gehoben werden. Und überhaupt dürfte die altbewährte one-size-fits-all-Mentalität des Bildungswesens ganz schnell Geschichte sein. Persönliche Stärken und Interessen explizit nicht zu berücksichtigen, könne es eigentlich längst nicht mehr sein, sagt Welpe.

Aber: Es findet statt. Selbst im Jahr 2022*. Ein wunderbares Bild, das zur gegenwärtigen Situation passt, findet sich in einem Beitrag, den die Bildungsexpertin für DIE ZEIT geschrieben hat. Sie steigt ein mit einem interessanten Gedankenspiel: „Stellen Sie sich vor, Bewohner*innen des Jahres 1922 würden in der Zeitmaschine in unser Jahr 2021 katapultiert.“ Im Hier und Jetzt angekommen, dürfte den Zeitreisenden dann so ziemlich nichts vertraut vorkommen. Gerade unser inzwischen durch und durch digitalisierter Alltag wäre wahrscheinlich eine enorme Herausforderung. Was auch sonst, wenn man aus einer Zeit kommt, in der riesige (Daten-)Pakete Tage und Wochen gebraucht hätten, um einmal um die Welt zu gehen – und nicht Sekunden.

Womöglich wohltuende Wiedererkennung dürften die Zeitreisenden dann aber in unserem Bildungssystem finden, schreibt Welpe, wo noch immer dicht gedrängt die Jungspunde sitzen, die Augen stets brav auf die Lehrkraft gerichtet. Stundenpläne, Pausenzeiten und selbst viele Lerninhalte dürften noch bestens bekannt sein. Der Grund dafür ist einfach, schreibt Welpe: „Echte (Durchbruchs-)Innovationen, die es erlauben würden, bei gleichem Ressourceneinsatz schneller oder besser zu lernen“, habe es in Deutschlands Bildungswesen „seit über 100 Jahren nicht gegeben“. Das ist in der Tat ein bisschen lang. 

* Dieser Artikel erschien in unserer Fachkraft 2030 Jubiläumsausgabe.

Julia Menke
Über den/die Autor*in

Julia Menke

Meine Leidenschaft sind Bücher, deshalb studierte ich Literatur, Kultur und Medien mit dem Begleitfach Sprache und Kommunikation an der Uni Siegen. Nach meinem Volontariat im PR- und Marketingbereich und einigen Jahren in einer Agentur in Köln, bin ich ins Marketingteam zu jobvalley gekommen. Hier bin ich als Teamlead Content & PR tätig. Nebst dem Strategischen liebe ich es jedoch nach wie vor zu schreiben!

Teile diesen Artikel