Prof. Dr. Lex Borghans hat als einer der ersten Forschenden weltweit psychologische Messverfahren in die volkswirtschaftliche Forschung eingeführt.
Interview mit Prof. Dr. Lex Borghans
Als Professor für „Labor Economics and Social Policy” an der Universität Maastricht und Bildungsökonom beschäftigt sich Prof. Dr. Lex Borghans damit, wie Fähigkeiten und Eigenschaften gemessen werden können – und wie diese mit Entscheidungen oder Ergebnissen im Bildungssystem sowie am Arbeitsmarkt zusammenhängen. Sein Lehrstuhl trägt die Schirmherrschaft für die Fachkraft 2030 und finanziert die Erhebung.
Herr Professor Borghans, wie kommt es eigentlich dazu, dass eine niederländische Hochschule seit 10 Jahren eine der größten Befragungen für Studierende in Deutschland durchführt?
Zu dieser Zeit promovierte Philipp Seegers in Maastricht und forschte zu Hochschulbildung. Er ergriff die Initiative und wollte die Fachkrafterhebung ins Leben rufen. Ich war damals als sein Doktorvater angetan von diesem Unternehmergeist. Zudem war ich überzeugt, dass eine solche Umfrage für unser Verständnis der Hochschulbildung und der studienbezogenen Entscheidungen von Studierenden hilfreich sein würde. Ich hätte niemals gedacht, dass diese sehr erfolgreiche Umfrage zehn Jahre später immer noch läuft.
Auch Sie selbst forschen mit den Fachkraft-Daten. Ein Thema dabei: Kreativität. Können Sie kurz beschreiben, wie sich Kreativität messen lässt?
Es gibt eindeutige Belege dafür, dass Fähigkeiten wie Kreativität in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das Problem: Es ist nicht so einfach wie bei Mathematik oder Rechtschreibung, diese Fähigkeit zu messen. In der Fachkraft-Erhebung im März 2018 haben wir die Befragten daher gebeten, kreative Lösungen für sechs verschiedene Probleme zu finden. Dies hat uns sehr geholfen, unser Verständnis von der Messung von Kreativität zu verbessern.
Was ist seither passiert? Wie gehen Sie um mit den Erkenntnissen?
Jetzt arbeiten wir an einer Software für maschinelles Lernen, um den Rücklauf an kreativen Antworten zu analysieren. Aktuelle Kreativitätstests müssen nämlich noch manuell ausgewertet werden. Doch für die Forschung wäre es sehr spannend, wenn man dieses Konstrukt automatisiert erheben könnte, wie es schon bei Intelligenz oder Persönlichkeit der Fall ist.
Warum ist Kreativität auch wirtschaftlich gesehen wichtig?
Der Arbeitsmarkt verändert sich rasch. Aufgrund der zunehmenden Leistungsfähigkeit sowie der Möglichkeiten von Computern und Technologie sind viele Aufgaben, die traditionell Menschen am Arbeitsplatz erledigt haben, automatisiert worden – oder werden es bald sein. Im Gegenzug sind die Aufgaben, die für Arbeitnehmer*innen immer wichtiger werden, gerade solche Dinge, die ein Computer nicht erledigen kann.
Da kommt dann die Kreativität ins Spiel?
Genau. Computer können zwar besser rechnen als Menschen, aber Menschen sind kreativer. Unsere Arbeit wird daher immer menschlicher werden. Das ist ziemlich sicher.
Lässt sich sagen, welches Arbeitsumfeld Kreativität in besonderer Weise fördert?
Um kreativ zu sein und kreativer zu werden, müssen Menschen in einem Umfeld arbeiten, das Raum für Neugier bietet und in dem es unterstützt wird, wenn Menschen mit neuen Ansätzen oder Lösungen kommen, auch wenn sie manchmal scheitern.
Im Volksmund wird Kreativität oft mit Originalität gleichgesetzt. Greift dies zu kurz?
In der Forschung bezeichnen wir eine Idee als kreativ, wenn diese originell ist und das bestehende Problem auch tatsächlich löst. In anderen Worten: Eine kreative Idee ist effizient und machbar, aber natürlich auch originell.
Wie hinderlich ist eigentlich Routine bei der Realisierung kreativer Ideen?
Um kreativ zu sein, muss man seinen Geist öffnen. Wenn man sehr beschäftigt ist und ständig Fristen einhalten muss, funktioniert das nicht. Andererseits kann auch Routine helfen, Raum für Kreativität zu schaffen. Wenn man alltägliche Dinge so erledigt wie immer, muss das nicht unbedingt davon ablenken, bei anderen Dingen dennoch kreativ zu sein.
Welche Studierenden kann man als besonders kreativ bezeichnen?
Fragt man die Studierenden selbst, was sie über die Kreativität von Studierenden anderer Fachrichtungen denken, herrscht im Grunde Einigkeit darüber, dass die Bereiche Architektur, Kunst/Musik, Ingenieurwissenschaften und Medien/Kommunikation am kreativsten sind.
Und am anderen Ende der Skala?
Ganz unten in der Wahrnehmung landen die Fachrichtungen Rechtswissenschaften, Geschichte, Betriebswirtschaft, Verwaltungswissenschaften und Wirtschaftswissenschaften.
Wie groß ist der Unterschied zwischen tatsächlicher und selbst wahrgenommener Kreativität?
Auch da gibt es interessante Tendenzen. Zunächst einmal halten Studierende aus Fachbereichen, die von anderen als kreativ angesehen werden, sich und ihre Mitstudierenden verständlicherweise auch für kreativ. Dagegen halten Studierende, die sich in einem Fachbereich befinden, der von anderen als nicht kreativ angesehen wird, ihre eigene Gruppe ebenfalls für nicht kreativ – und betrachten sich selbst aber dennoch als kreativ.
Das Eingestehen von Schwäche ist halt so eine Sache.
Da ist was dran. In jedem Fall sehen wir, dass die meisten Menschen sich selbst für überdurchschnittlich kreativ halten. Von der Tendenz her kennen wir das bereits von anderen psychologischen Konstrukten. Von der Intelligenz zum Beispiel.
Dieses Interview erschien in unserer Fachkraft 2030 Jubiläumsausgabe.
Julia Menke
Meine Leidenschaft sind Bücher, deshalb studierte ich Literatur, Kultur und Medien mit dem Begleitfach Sprache und Kommunikation an der Uni Siegen. Nach meinem Volontariat im PR- und Marketingbereich und einigen Jahren in einer Agentur in Köln, bin ich ins Marketingteam zu jobvalley gekommen. Hier bin ich als Teamlead Content & PR tätig. Nebst dem Strategischen liebe ich es jedoch nach wie vor zu schreiben!
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