Sie forscht zu Humankapital und sozioökonomischer Ungleichheit auf Basis von Bildungsentscheidungen und ihren Auswirkungen.
Interview mit Prof. Dr. Pia Pinger
Gemeinsam mit Dr. Lukas Kiessling, Dr. Jan Bergerhoff und Dr. Philipp Karl Seegers hat Prof. Dr. Pia Pinger, auf Basis der Fachkraft-2030-Daten, die Unterschiede in den Gehaltserwartungen von Studierenden untersucht. In einem aktuellen Forschungsprojekt wurden die Fachkraft-2030-Daten mit administrativen Notendaten verbunden, um den Übergang zwischen Schule und Studium weiter zu untersuchen.
Frau Pinger, lassen Sie uns gemeinsam auf die Gehaltserwartungen von Studierenden blicken: Über- oder unterschätzen sich angehende Akademiker:innen eher?
Weder noch. Uns hat sehr überrascht, dass die Erwartungen der Studierenden im Schnitt tatsächlich relativ genau mit den tatsächlichen Löhnen übereinstimmen. Die Studierenden wissen also ungefähr, was sie erwartet auf dem Arbeitsmarkt. Und sie rechnen auch mit substantiellen Bildungsrenditen.
Wie kommen Gehaltserwartungen eigentlich zustande? Oder anders: Woher stammt die Zahl, die dann letztlich am Ende des Vorstellungsgesprächs genannt werden muss?
In unseren Daten sehen wir, dass die Gehaltserwartungen (zu Recht) sehr stark vom Fach und der gewählten Branche abhängen. Außerdem beobachten wir, dass Frauen signifikant niedrigere Lohnerwartungen haben als Männer.
Leider spiegelt auch dies die Realität relativ gut wider. Wie erklären Sie diese Unterschiede?
Ein Großteil der erwarteten Lohnunterschiede lässt sich dadurch erklären, dass Männer und Frauen unterschiedliche Fächer und Berufe wählen. Frauen bewegen sich immer noch sehr oft in schlechter bezahlten Berufen aus dem Sozialbereich. Sie sind auch häufiger an den Geisteswissenschaften interessiert.
Und die Männer?
Männer hingegen wählen öfter Fächer im MINT-Bereich, aber das ist nicht der einzige Erklärungsfaktor. So beobachten wir beispielsweise, dass Männer auch gezielt planen, später mehr zu arbeiten und höhere Gehaltsforderungen zu stellen. Die Familienplanung hingegen hat bei Studierenden nur einen geringen Erklärungsgehalt hinsichtlich der erwarteten Lohnentwicklung.
Welchen Einfluss hat das viel zitierte Verhandlungsgeschick, um die eigene Gehaltserwartung beim Berufseinstieg real werden zu lassen?
Es gibt eine große Anzahl an Studien, die zeigen, dass Frauen deutlich weniger aggressiv verhandeln und auch seltener nach einer Gehaltserhöhung fragen als Männer. In unserer Studie sehen wir, dass die Lohnerwartungen eng mit der anvisierten Verhandlungstaktik zusammenhängen. Männer verhandeln forscher. Sie gehen mit höheren ersten Lohnforderungen in die Verhandlungen rein, sind aber auch eher bereit, sich runterhandeln zu lassen. Frauen sagen eher, was sie haben möchten und bleiben dann dabei.
Was passiert dann im weiteren Karriereverlauf mit den Gehältern, wenn alles nach Plan läuft?
Die erwartete Lohnlücke wird größer im Karriereverlauf. Fast die Hälfte der Frauen erwartet ein jährliches Lohnwachstum von unter 2 Prozent. Auf männlicher Seite trifft das nur auf rund 35 Prozent zu. Die erwartete Lohnlücke nimmt also im Schnitt jedes Jahr zu. Im Verlauf der Karriere erwarten Frauen, rund 500.000 Euro weniger zu verdienen als Männer.
Welcher Zeitraum ist eigentlich angemessen für die nächste Gehaltserhöhung bzw. Forderung danach?
Hierzu kenne ich keine Studien. Vermutlich hängt das sehr stark von der Branche ab. Es gibt allerdings Forschungen, die zeigen, dass Frauen tendenziell sogar dafür „bestraft“ werden, wenn sie versuchen, in Verhandlungen ein höheres Gehalt für sich zu erzielen. Sie werden schlechter bewertet und weniger häufig für eine Zusammenarbeit ausgewählt. Andere Studien zeigen, dass Frauen das auch antizipieren und ihre Verhandlungsbereitschaft entsprechend anpassen. Es würde helfen, wenn bei Gehaltserhöhungen eine größere Transparenz herrschen würde und es standardisierte Verfahren gäbe.
Schreckgespenst Altersarmut: Welchen Einfluss haben gerade auf weiblicher Seite berufliche Pausenzeiten für Kinder?
Frauen verdienen noch immer weniger und nehmen vermehrt Auszeiten für die Kinderbetreuung. Infolgedessen sind ihre Renten im Schnitt fast 50 Prozent geringer als die der Männer. Oft ist diese Entscheidung auch davon getrieben, dass Frauen weniger verdienen und (hier wird unsere Studie relevant!) geringere Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Verdienstmöglichkeiten haben.
Wo müsste man im Bildungssystem denn ansetzen, wenn man Geschlechterunterschiede abbauen möchte?
Im Bildungssystem haben wir eigentlich keine Probleme. Im Gegenteil. Mädchen haben häufig die besseren Noten, das verträglichere Verhalten und den größeren Bildungserfolg. 55 Prozent aller Abiturienten sind weiblich. Allerdings ist es immer noch so, dass sich Mädchen eher für die „weicheren“, tendenziell schlechter bezahlten Fächer interessieren – und seltener für den MINT-Bereich. Weibliche Vorbilder und Programme, die speziell darauf
abzielen, Mädchen für MINT-Fächer zu begeistern, könnten dazu beitragen, die noch immer bestehenden Lohnlücken zumindest teilweise zu schließen.
Frau Pinger, vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview erschien in unserer Fachkraft 2030 Jubiläumsausgabe.
Svenja Mehling
Mich begeistern Worte, Texte und Bücher. So bin ich nach dem Studium der Mehrsprachigen Kommunikation in Köln zu meinem ersten Job im Content Marketing eines Tourismus-Unternehmens gekommen. Seit Juli 2022 bin ich nun als Content Manager im Marketingteam bei jobvalley tätig.
Artikel, die dich interessieren könnten
Wie wichtig sind realistische Erwartungen beim Berufseinstieg?
Wir haben ein Interview mit Konstantinos Bach und unserer Kollegin Steffi Uhlig aus dem Recruiting geführt. Es gibt wertvolle Tipps für Berufseinsteiger*innen.
„Unsere Arbeit wird immer menschlicher werden.”
Interview mit Prof. Dr. Lex Borghans. Als einer der ersten Forschenden hat er psychologische Messverfahren in die volkswirtschaftliche Forschung eingeführt.