Am Ende war es Leon Goretzka, der den Schlusspunkt setzte. Mit seinem Tor in der 84. Minute sorgte er vergangene Woche für den Ausgleich im hochpolitisch aufgeladenen Spiel Deutschland gegen Ungarn. Um dann vor dem ungarischen Fanblock ein Herz zu formen. Die Turbulenzen rund um dieses Spiel im Pride Month, während Ungarns Regierung ein Gesetz verabschiedet, das Kritiker als homophob und „Schande" bezeichnen, zeigen, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Thema Diskriminierung ist.
Diskriminierung: Wir haben Studierende befragt
Ungarn musste nach der Vorrunde der Europameisterschaft die Koffer packen, Deutschland erreichte das Achtelfinale. Abseits des Wettkampfs wurde jedoch etwas ganz anderes erreicht, nämlich eine umfangreiche Debatte rund um die Rechte von LGBTQIA+. Gerade im Profisport wird dieses Thema kontrovers behandelt; Beispiele sind Philipp Lahms Meinungsäußerung zum Coming-out oder Initiativen wie „Ihr könnt auf uns zählen!" und Kickout. Gesten wie das Goretzka-Herz oder Manuel Neuers Kapitänsbinde in Regenbogenfarben sind dabei wichtig und stiften Hoffnung. Weltweite Nachrichten wie das Coming-out von NFL-Profi Carl Nassib ebenfalls.
Zur gleichen Zeit werden LGBTQIA+ in vielen Ländern nach wie vor ausgegrenzt und verfolgt. Aber wie schaut der Alltag in Deutschland aus? Wer fürchtet dort Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung sowie Geschlecht oder ethnischer Herkunft? Wir wollten es wissen und haben im Rahmen der Fachkraft 2030 die Angst der Studierenden vor Diskriminierung im Beruf untersucht. Es wurden im März und April rund 12.000 Studierende deutschlandweit befragt, unter anderem dazu, ob sie erwarten, wegen ihrer Nicht-Heterosexualität im Beruf Nachteile zu erleiden.
„Ich habe Angst aufgrund meiner Homosexualität in meinem späteren Beruf nicht das Vertrauen aller meiner Patient*innen genießen zu dürfen, sondern dass einige sich abwenden, wenn sie es herausfinden."
– Lina L., Studentin
„Prinzipiell versuche ich mich immer so ‘hetero’ wie möglich zu verhalten und mich auch so zu kleiden. Da ich Angst habe, dass wenn ich etwas schwul rüberkomme, möglicherweise nicht den Job bekomme. Vorallem in kleineren Großstädten. Damals, als ich gekellnert habe, habe ich auch immer deutlich weniger Trinkgeld bekommen."
– Björn K., Student
Berufliche Nachteile wegen sexueller Orientierung?
Die Sorge vor Diskriminierung scheint nicht unbegründet. Bereits im vergangenen Jahr zeigte eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Universität Bielefeld, dass sich ein Drittel der Homosexuellen mit Diskriminierung im Beruf konfrontiert sieht. Auch unsere Befragung liefert ein alarmierendes Bild. Während 36 Prozent der nicht-heterosexuellen Befragten berufliche Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Orientierung fürchten, beträgt dieser Wert bei den heterosexuellen lediglich 4,6 Prozent. Ein Ungleichverhältnis von ca. 8:1!
„Die Ergebnisse sind schlichtweg erschreckend und sie zeigen wie groß die Verunsicherung unter Studierenden ist. Umso wichtiger sind klare Statements und Maßnahmen von Unternehmen für eine offene Kultur, Gleichstellung und gegen jegliche Diskriminierung im Arbeitsleben. Darüber hinaus sind Zeichen für eine offene Gesellschaft in der Öffentlichkeit wichtig. Ein solches Zeichen hätte beispielsweise eine Regenbogen-Allianz Arena sein können. Schön, dass der Rest der Stadt sich bunt solidarisiert hat. Es gilt Farbe zu bekennen, denn auch innerhalb Deutschlands haben wir noch viel zu tun.”
– Eckhard Köhn, Studitemps CEO
Geschlechtsspezifische Diskriminierung im Job?
Ähnlich präsentieren sich die Befragungsergebnisse zu Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts. Immerhin 13 Prozent der männlichen Befragten gaben an, negative berufliche Konsequenzen wegen ihres Geschlechts zu fürchten. Jedoch waren es bei den Teilnehmerinnen ganze 70 Prozent – fünfmal so viel. Demnach kommen zu Herausforderungen wie dem Gender Pay Gap auch die Ängste zukünftiger Absolventinnen vor Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts*.
„Ich hab Sorge besonders als Frau nur die Quote zu halten. Und dass meine tatsächlichen Fähigkeiten und Qualifikationen untergehen."
– Viktoria S., Studentin
Ethnische Herkunft und Nachteile am Arbeitsmarkt?
Die Unterschiede mit Blick auf die ethnische Herkunft sind ebenfalls drastisch. 69,5 Prozent der nicht-deutschen Befragten befürchten berufliche Benachteiligungen. Auf deutscher Seite sind dies lediglich rund 17 Prozent der Teilnehmenden. Dies steht in starkem Kontrast zu staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von institutionellem und strukturellem Rassismus und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Die Teilnehmenden wurden nach ihrer ethnischen Herkunft befragt. Somit ging es nicht um die deutsche Staatsbürgerschaft, sondern darum, Diskriminierungstendenzen aufgrund des Aussehens zu identifizieren.
„Das Multikulti Land Deutschland wird beeinflusst von ausländischen Traditionen, Kulturen und Gesinnungen und jede davon ist auf ihre Art eine Bereicherung und macht Deutschland vielfältiger. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass manche ethnische Herkunft auf dem deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert wird. Oftmals haben Bewerber*innen die Befürchtung, dass sie von einem Arbeitgeber aus diesem Grund abgelehnt werden. Sie haben Sorge, dass Qualifikationen oder Fähigkeiten nicht ‘ausreichend’ sind, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein.
Zum Beispiel sprach ich vor einiger Zeit mit einer Masterabsolventin, welche aufgrund ihrer muslimischen Glaubensrichtung und ihres Hidschābs kein professionelles Bewerbungsfoto in ihren Lebenslauf integrieren wollte, da sie Sorge hatte, dass das einen Einfluss auf ihre Bewerbung hat. Eine weitere Erfahrung hatte ich mit einem vielversprechenden Kandidaten, der vermehrt zu Beginn eines Bewerbungsprozesses den Eindruck erlangt hat, aufgrund seines türkischen Namens abgelehnt zu werden. Es ist schade zu hören, dass spannende Kandidat*innen Angst haben auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht erfolgreich sein zu können, da jede*r die gleichen Chancen verdient."
– Johanna Sorgnit, Recruiting Specialist Studitemps Young Professionals
Studitemps Fazit
Wir leben im Jahr 2021. Wer wen wie liebt sollte keine Rolle spielen. Außerdem sollte keine*r Benachteiligungen wegen des Geschlechts, Aussehens oder der Herkunft fürchten müssen. Weder im Privatleben noch im Beruf. Dies ist nicht nur ein wichtiger Baustein für gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Leider gestaltet sich die Realität an vielen Stellen anders, auch und insbesondere während der Corona-Pandemie. Dass Studierende trotz der Pandemie optimistisch in ihre berufliche Zukunft schauen, ist ein hohes Gut. Es wäre traurig, wenn diese Zuversicht durch die Angst vor Diskriminierung eingetrübt würde. Umso wichtiger ist es, auch außerhalb des Pride Month oder nach dem Ende von Großveranstaltungen wie der Fußball-EM Zeichen zu setzen.
Weitere Informationen zu aktuellen studentischen Meinungsbildern zur beruflichen Chancengleichheit in Deutschland bietet unser Whitepaper.
*Es liegen Antworten von insgesamt 88 Personen vor, die sich weder eindeutig dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Aufgrund der geringen Stichprobengröße (n <100) wurden die Ergebnisse dieser Gruppe hier nicht berücksichtigt. Wir geben jedoch auf Nachfrage gern Auskunft.