Michael Scharsig

Studium – und tschüss: Absolventen verlassen Ostdeutschland

Michael Scharsig
Michael Scharsig
veröffentlicht am 8.2.2016

Weite Teile Ostdeutschlands haben mit dem Problem zu kämpfen, dass Hochschulabsolventen nach dem Studium nicht bleiben wollen. Viele ziehen weg, um beruflich an anderer Stelle Karriere zu machen. Für die betroffenen Bundesländer bedeutet die Abwanderung junger Akademiker gleich in mehrfacher Hinsicht ein Minusgeschäft – personell und finanziell. Eine aktuelle Analyse der Studie „Fachkraft 2020“ zeigt Wege heraus aus diesem Dilemma.

Keine Frage, sämtliche Bundesländer in Deutschland geben ihr Bestes, um jungen Menschen eine gute Hochschulausbildung zu gewähren. Dafür wird viel Geld in die Hand genommen. Im bundesweiten Durchschnitt sind es rund 6.600 Euro pro Student und Jahr. Bildung kostet! Das Problem: Ist die akademische Abwanderung nach dem Studium größer als die gegenläufige Zuwanderung, zahlen betroffene Länder die Rechnung gleich doppelt. Einerseits, weil hiesige Unternehmen dringend benötigten Personalnachwuchs verlieren. Andererseits, weil das in die Hand genommene Bildungsbudget de facto mit abwandert. Ärgerlich aus Landessicht.

Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern sind vier von insgesamt zwölf Bundesländern in Deutschland, die bei jungen Mensch am Übergang von Studium zu Beruf einen negativen Wanderungssaldo zu verzeichnen haben. Heißt: Mehr Fortzug als Zuzug – und das in einem Ausmaß, das sich in den vier genannten Ländern als erheblich wie anhaltend charakterisieren ließe. Laut Studienreihe „Fachkraft 2020“ büßen sie 2015 schon das dritte Jahr in Folge erhebliches Fachkräftepotenzial ein.

Den Zahlen zufolge waren es im besten Fall (2014, Sachsen) „nur“ 23 Prozent Nettoabwanderung, wohingegen sich für das auslaufende Jahr 2015 in Sachsen-Anhalt ein sattes Minus von 70 Prozent abzeichnet. Schlechter sieht es nirgendwo sonst in Deutschland aus. Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf den seit 2012 in Kooperation zwischen Studitemps und dem Department of Labour Economics der Maastricht University durchgeführten Erhebungen zur Studienreihe „Fachkraft 2020“. An der jüngsten Befragung haben bundesweit etwa 25.000 Studierende teilgenommen, die nächste findet im März 2016 statt.

Wanderungsgewinne und -verluste der Bundesländer (per Saldo) am Übergang von Hochschule zu Beruf – Ergebnisdarstellung 2013 bis 2015

Wanderungsgewinne und -verluste der Bundesländer (per Saldo) am Übergang von Hochschule zu Beruf – Ergebnisdarstellung 2013 bis 2015

Sachsen

Mit Bezug zum Erhebungsjahr 2015 zeichnet sich für Sachsen ab, dass knapp über 50 Prozent der im Land ausgebildeten Hochschülerinnen und Hochschüler auch beruflich bleiben wollen. Die restlichen Befragten (48 Prozent, um genau zu sein), wollen abwandern, wobei Berlin (10,6 %) und Bayern (9,7 %) für den Berufseinstieg am attraktivsten zu sein scheinen. Die nachfolgende Darstellung gibt wieder, welche Migrationsströme sich aus Sachsen heraus ergeben. Nicht berücksichtigt ist hierbei der Aspekt Zuwanderung.

Wer bleibt, wer geht? Verbleib und Abwanderungswille unter Sachsens Absolventen 2015 (Ohne Zuzug)

Verbleib und Abwanderungswille unter Sachsens Absolventen 2015

Sachsen-Anhalt 

Wie viele Absolventen wollen 2015 in Sachsen-Anhalt bleiben? Und wie viele wandern aus beruflichen Gründen ab? Den vorliegenden Erhebungsdaten zufolge kann das Land lediglich auf den Verbleib von gut 22 Prozent der eigenen Hochschülerinnen und Hochschüler hoffen – Tiefstwert im Vergleich zu Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Von denen, die gehen wollen, bevorzugen 14,5 Prozent den beruflichen Einstieg in Berlin, gefolgt von Hamburg (11,4 %) und Bayern (10,3 %). Sämtliche Länderdaten können der folgenden Tabelle entnommen werden.

Wer bleibt, wer geht? Verbleib und Abwanderungswille unter Sachsen-Anhalts Absolventen 2015 (Ohne Zuzug)

Verbleib und Abwanderungswille unter Sachsen-Anhalts Absolventen 2015

Thüringen 

Und auch Thüringen hat dort, wo es um den individuellen Übergang von Studium zu Beruf geht, in erheblichem Umfang mit akademischer Abwanderung zu kämpfen. Lediglich jeder vierte Absolvent will dem Land die Treue halten – kein guter Wert für hiesige Unternehmen. Bei den Abwanderern liegt Bayern am höchsten im Kurs (15,0 %), gefolgt von zwei Ländern aus dem Osten: Berlin (12,2 %) und Sachsen (10,2 %). Die folgende Tabelle veranschaulicht, wie viele Studierende aus Thüringen es in die jeweiligen Regionen zieht.

Wer bleibt, wer geht? Verbleib und Abwanderungswille unter Thüringens Absolventen 2015 (Ohne Zuzug)

Verbleib und Abwanderungswille unter Thüringens Absolventen 2015

Mecklenburg-Vorpommern 

Auch Mecklenburg-Vorpommern verliert im Untersuchungsjahr 2015 durch die beruflich bedingte Abwanderung von Absolventen einen Gutteil seines Fachkräftepotenzials. Denn während lediglich 38 Prozent der Studierenden aus dem Land vorhaben zu bleiben, planen fast zwei Drittel den Fortzug – erheblich. Bei Absolventen mit Abwanderungsabsicht sind die Stadtstaaten Berlin (17,4 %) und Hamburg (16,2 %) besonders angesagt. Unberücksichtigt bleibt in dieser Berechnung indes der Faktor Zuwanderung. Die folgende Tabelle klärt den Sachverhalt.

Wer bleibt, wer geht? Verbleib und Abwanderungswille unter Absolventen in Mecklenburg-Vorpommern 2015 (Ohne Zuzug)

Verbleib und Abwanderungswille unter Absolventen in Mecklenburg-Vorpommern 2015

Gewinn vs. Verlust? Folgen der Migration für die Bildungshaushalte der Länder

Wie eingangs erwähnt, investieren die 16 deutschen Bundesländer im Durchschnitt pro Jahr und Person etwa 6.600 Euro in die hochschulische Ausbildung von Studierenden. Am meisten Geld nimmt laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes derzeit Niedersachsen in die Hand (8.600 € pro Jahr und Person), am wenigsten Brandenburg (5.200 €).

Im Rahmen der Studienreihe „Fachkraft 2020“ wurden die akademischen Wanderungssalden in eine budgetäre Gewinn-/Verlustrechnung je Bundesland übertragen. Folgende drei Komponenten flossen hier mit ein:

  • Die zuvor erwähnten, jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben der Länder

  • Die Anzahl der Studierenden je Bundesland

  • Die jeweiligen Wanderungssalden

Herausgekommen ist ein Gesamtbild, das für Thüringen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt keine positive Schlussfolgerung zulässt: Denn de facto verlieren mit dem Fortzug der Absolventen alle vier Länder einen Gutteil ihres jährlichen Bildungsinvestments. Das geringste Minus steht für Mecklenburg-Vorpommern zu Buche (-91 Millionen Euro), das höchste mit fast 300 Millionen in Sachsen-Anhalt. Die nachfolgende Darstellung verdeutlicht den Sachverhalt.

Fazit von Studitemps: Es sind keine guten Zahlen, die sich mit Blick auf die berufliche Bleibeabsicht von Absolventen in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern auftun. Denn alle genannten Länder verzeichnen eine mehr oder minder kräftige Abwanderung von Hochschulabsolventen. Noch am besten ergeht es 2015 Sachsen mit einem Minus von netto 24 Prozent (heißt: etwa jeder vierte Absolvent will abwandern), am schlechtesten sieht es hingegen in Sachsen-Anhalt aus, wo aktuell 70 Prozent das Land aus beruflichen Gründen verlassen wollen. Welch bittere Zahl!

Stellt sich die Frage, was die Länder und die hier ansässigen Unternehmen tun können, um aus der Abwanderungs- eine Bleibeabsicht werden zu lassen. Folgende Stellschrauben bieten sich an: (1) das Gehalt, (2) der Arbeitsvertrag und (3) die Arbeitnehmerzufriedenheit.

(1) Beim Berufseinstieg werden Weichen fürs Leben gestellt, so zumindest sehen es die meisten Absolventen. Entsprechend früh und klar kommt es zur Bildung bzw. Verfestigung persönlicher Zielsetzungen – erst recht Faktoren wie Gehalt und regionale Präferenzen für den Berufseinstieg betreffend. Im Rahmen der Studie „Fachkraft 2020“ konnte errechnet werden, welche Aufschläge aufs Durchschnittsgehalt abwanderungswillige Studierende vom Bleiben überzeugen könnten. Um eine dem Land Sachsen finanziell ebenbürtige Jobattraktivität zu erzeugen (Sachsen ist Referenzgröße, weil hier die geringste Nettoabwanderung stattfindet), müsste das durchschnittliche Einstiegsgehalt in Thüringen pro Monat und Kopf etwa 110 Euro netto über dem des Freistaates liegen. In Mecklenburg-Vorpommern liegt das Äquivalent bei einem Plus von 150 Euro und in Sachsen-Anhalt bei knapp über 200 Euro – eine Menge Geld also, die Unternehmen in die Hand nehmen müssten. Klar ist auch, dass gegenüber begehrten Zielen wie Hamburg oder Bayern noch höhere Aufschläge anfallen müssten. (2) Als ein den Lohnanspruch senkendes Gegenmittel bietet sich der Wegfall von Probezeiten und Befristungen an. Heißt: Der sichere Arbeitsplatz steht bei Absolventen derzeit so hoch im Kurs, dass für einen sofortigen Festvertrag auf Geld verzichtet würde. Bis zu 300 Euro netto pro Monat können es sein. Nicht zu verachten. (3) Außerdem zeigte sich anhand der Untersuchungsergebnisse zur Studienreihe „Fachkraft 2020“, wie wichtig unternehmerische Investments in Familienfreundlichkeit sind. Demnach sind Absolventen je nach Art und Umfang der Maßnahmen (flexible Arbeitszeiten, Kita-Angebot etc.) bereit, auf bis zu 500 Euro netto pro Monat zu verzichten.

All diese Maßnahmen haben klar das Zeug, abwanderungswillige Akademiker vom Bleiben zu überzeugen. Sicherlich, sowohl strukturell als auch finanziell kann die unternehmerische Bedienung solcher Anforderungen zunächst ein Kraftakt sein. Aber dafür – und darum geht es – blieben mehr und mehr junge Absolventen auch solchen Wirtschaftsstandorten erhalten, in denen die Zeichen tendenziell auf Weggang stehen. Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und erst recht Sachsen-Anhalt könnten solche Impulse gut gebrauchen.

Michael Scharsig
Über den/die Autor*in

Michael Scharsig

Mein Name ist Michael, ich habe früher für jobvalley gearbeitet und Artikel für das Jobmensa Magazin verfasst. 2013 habe ich mein JPR-Studium (Journalismus/Public Relations) abgeschlossen. Parallel dazu war ich rund zwei Jahre als Online-Fußballredakteur in NRW unterwegs und bin anschließend für drei Monate nach London gegangen. Dort lernte ich dann Marketing und Instagram näher kennen. In meiner letzten Station hatte ich als PR-Volontär mit Social Media und Blogger Relations zu tun. Privat bin ich außerdem Filmblogger und habe 2014 eine Rock-am-Ring-Facebook-Seite betreut, die sich dafür einsetzte, dass Festival in meine Heimat zu holen. Hat nicht geklappt, aber Spaß hat's gemacht.

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