Erst ausgebildet, dann abgewandert: Mit Blick auf 2015 zeichnet sich für Hessen per Saldo ein Wanderungsdefizit von 20 Prozent unter Hochschulabsolventen ab. Das ergab eine aktuelle Erhebung zur Studienreihe „Fachkraft 2020“, an der bundesweit 25.000 Studierende teilgenommen haben. Die Abwanderung dürfte dem hessischen Bildungshaushalt alleine im zurückliegenden Jahr ein Minus von de facto 330 Millionen Euro beschert haben.
Wenn per Saldo jeder 5. Hochschulabsolvent ein Bundesland verlassen will, sind ökonomische Nachteile programmiert. Dies ist konkret das Szenario, das sich für Hessen abzeichnet. Denn neben 2015 konnten auch in den Erhebungsjahren 2014 und 2013 durch die Studienreihe „Fachkraft 2020“ keine positiven Kennzahlen festgestellt werden (Tabelle unten).
Das heißt: Der Trend der Nettoabwanderung von Absolventen scheint in Hessen – wie auch andernorts in Deutschland – stabil zu sein. Mehr noch: Im ökonomisch besonders begehrten MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik/Ingenieurwissenschaften) wollte 2015 sogar jeder 4. hessische Studierende abwandern. Die Negativkonsequenzen für den Bildungshaushalt des Landes sind beträchtlich (s. Artikelende).
Die dieser Veröffentlichung zugrunde liegende Befragung wurde im März 2015 durchgeführt. Etwa 25.000 Hochschülerinnen und Hochschüler nahmen bundesweit teil. Studitemps und das Department of Labour Economics der Maastricht University kooperieren im Rahmen der Studienreihe „Fachkraft 2020“ bereits seit September 2012. Zeitpunkt der kommenden Befragung: März 2016.
Im MINT-Bereich will jeder 4. Studierende abwandern
Schmerzlicher noch als der allgemeine Trend zur akademischen Abwanderung dürfte in Hessen der sich abzeichnende Verlust von MINT-Absolventen wahrgenommen werden. Denn perspektivisch sind es gerade Studierende aus den Fachbereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, die ökonomisch den Unterschied ausmachen dürften. Der Wettbewerb der Branchen und Unternehmen um diese Köpfe ist hart. Standortnachteile fallen angesichts des hohen Bedarfs besonders ins Gewicht. Fakt ist aber auch: Hessen steht mit dieser Problematik mitnichten alleine da. Bundesweit haben den Daten der Studie „Fachkraft 2020“ zufolge elf Länder mit Abwanderung im MINT-Bereich zu kämpfen. Am härtesten trifft es prozentual Sachsen-Anhalt (-72 %) und Brandenburg, dessen Minus 2015 bei etwa 60 Prozent gelegen haben dürfte.#
328 Millionen Euro Bildungsbudget wandern alleine 2015 ab
Mithilfe von Daten des Statistischen Bundesamtes konnte eine budgetäre Verlustrechnung aufgestellt werden. So liegen die hessischen Pro-Kopf-Bildungsausgaben je Student bei rund 6.900 Euro. Umgerechnet auf das Ausmaß der akademischen Nettoabwanderung resultiert hieraus für 2015 ein Minus von 328 Millionen Euro. Höhere Verluste konnten bundesweit lediglich für Rheinland-Pfalz (334 Mio.) und vor allem Nordrhein-Westfalen festgestellt werden, dessen Minus bei gut 560 Millionen Euro liegt. Das folgende Diagramm verdeutlicht den Sachverhalt für jedes einzelne Bundesland.
Fazit von Studitemps: Hessen könnte wahrlich besser dastehen – zumindest mit Blick auf die Wanderungsbewegungen junger Absolventen. Fakt ist: Gut jeder 5. Studierende will das Land nach dem Abschluss verlassen. Hier lassen die vorliegenden Zahlen der Studienreihe „Fachkraft 2020“ für die Jahre 2013 bis 2015 einen stabilen Trend erkennen. Schlimmer noch: Jeder 4. Absolvent aus dem MINT-Bereich will beruflich woanders in Deutschland einsteigen.
Finanzielle Konsequenz dieser Wanderungstendenzen? Mit einem Minus von gut 330 Millionen Euro alleine im Jahr 2015 wird der hessische Bildungshaushalt erheblich belastet. Heißt: Das Land bildet seine Hochschülerinnen und Hochschüler nach Kräften aus – den perspektivischen Profit tragen bei Abwanderung jedoch andere Regionen davon. Lediglich in NRW und Rheinland-Pfalz „wandert“ mehr Bildungsbudget in Form von Absolventen „ab“.
Eine Konstellation also, die im ökonomisch ambitionierten Hessen nicht wirklich gefallen kann. Weder politisch noch unternehmerisch. Lösungsansatz? Die ausreichende Bereitstellung von Nebenjobs mit Fachbezug zum Studium ist ein wichtiger Faktor zur Bindung junger Köpfe. Weil nur so Unternehmen und angehende Absolventen bereits frühzeitig zusammenfinden können. Umdenken, Hessen!